Einleitung
Haben Sie „gearbeitet“, wenn Sie z. B. ChatGPT genutzt haben, um Ihre E-Mails zu bearbeiten oder eine Power-Point Präsentation zu gestalten? Die Entwicklung von LLMs konfrontiert uns mit völlig neuen Fragen, darunter auch mit der nach einem neuen Verständnis von Arbeit.
Arbeitet ein Mensch, der (zentrale) Aufgaben an ein KI-System delegiert, noch im Sinne der protestantischen Tradition? Oder ist es ein Bruch mit dem göttlichen Auftrag, nach der Vertreibung aus dem Paradies „im Schweiße seines Angesichts“ (Gen 3,19) zu arbeiten?
Historisches Verständnis der Arbeit im Protestantismus
In der Reformation erfuhr die Arbeit, wie Huber (2000) darlegt, vor allem durch Martin Luther eine deutliche Aufwertung. Während antike Philosophen körperliche Arbeit oft gering schätzten, sah die biblisch-reformatorische Tradition in ihr eine Möglichkeit, an der Schöpfung mitzuwirken. Denn jeder Beruf ist eine von Gott geschenkte Berufung und eben nicht nur geistliche Ämter, sondern auch alltägliche und weltliche Berufe: Die Arbeit einer Magd, eines Handwerkers oder eines Fürsten wurde so zu einem ebenso wertvollen Gottesdienst wie die eines Priesters, solange sie in Nächstenliebe und im Glauben verrichtet wurde (Huber, 2000).
Auch Johannes Calvin schätzte die Arbeit hoch und betonte vor allem Disziplin und Fleiß, denn für ihn war der Berufserfolg ein Indiz göttlicher Erwählung. Daraus entstand nach Max Weber eine Dynamik, die unser neuzeitliches Verständnis von Arbeit und den „Geist“ des Kapitalismus prägte: eine der Arbeitsamkeit, Disziplin und Frömmigkeit (Huber, 2000) (Weber, 2013).
Fünf Thesen zur Arbeit im KI-Zeitalter
Aus der protestantischen Arbeitsethik ergibt sich eine Idee, wie man die Arbeit mit KI bewerten könnte. Die Reformation hat die Arbeit vom reinen Broterwerb befreit und sie als Dienst an Gott und dem Nächsten geadelt. Echte Arbeit bemisst sich also an der Sinnerfüllung und Dienstbereitschaft, nicht am Schweißfaktor oder es ist nicht nur dann echte Arbeit, wenn man nach 8 Stunden müde aus dem Büro kommt.
Genau dieser Maßstab muss nun auf die Arbeit mit KI angewendet werden. Erfüllt der Mensch auch mit diesem neuen Tool seine Berufung? Dies möchte ich nun anhand von fünf Thesen ausführen:
1. Effizienz im Dienst der Nächstenliebe
Aus protestantischer Sicht ist effizient sein nichts Unanständiges oder etwas, wofür man sich schämen sollte, sondern kann Ausdruck guter Haushalterschaft (z.B.: 1.Petrus 4,10) mit den von Gott anvertrauten Gaben und der (Lebens-)Zeit sein. Die Bibel selbst gibt uns dem Kulturauftrag, die Erde zu „bebauen und zu bewahren“ (Gen 2,15), dies kann als theologische Legitimation für Technologie als Teil dieses Schöpfungsauftrags gedeutet werden. Wie Luther den Buchdruck als gottgegebene Chance sah, kann KI als Werkzeug dienen, den Dienst am Nächsten wirksamer zu gestalten. Ein Bäckereibetrieb, der KI zur Vermeidung von Lebensmittelverschwendung einsetzt, handelt nachhaltig (Bildung, 2023). Ein Pfleger, der KI zur automatischen Erledigung der Dokumentation nutzt, gewinnt dadurch mehr Zeit für das Gespräch und die persönliche Zuwendung zum Patienten. Hier wird die gelebte Nächstenliebe gestärkt, obwohl KI in der Arbeit genutzt wurde.
Problematisch wird Effizienz erst, wenn sie zum Selbstzweck wird und der Mensch zum Kostenfaktor degradiert (Huber, 2000). Wo Effizienzsteigerung zur Entmenschlichung führt, ist theologische Kritik angebracht. Schon Luther stellte klar, dass jede Arbeit Gott gefallen kann, wenn sie in der rechten Gesinnung geschieht. Die protestantische Ethik verlangt also, dass die Effizienz dem Menschen dient und ihn nicht zu einem bloßen Zahnrad im Betriebsablauf macht. KI muss den Menschen entlasten, nicht entwerten.
2. Die protestantische Unbehaglichkeit mit der Leichtigkeit
Die protestantische Tradition hat uns ein tiefes Misstrauen gegenüber dem „Weg des geringsten Widerstands“ hinterlassen. Die Theologin Sarah Drummond (2024) bringt dies auf den Punkt, wenn sie von der „Unbehaglichkeit des hart arbeitenden Protestanten mit der Leichtigkeit“ spricht. Diese Skepsis rührt daher, dass Arbeit nicht nur als Mittel zum Zweck, sondern auch als Ort der Charakterbildung verstanden wird: Tugenden wie Beharrlichkeit und Disziplin werden im Ringen mit einer Aufgabe geformt. Drummond (2024) beobachtet hier eine aktuelle Generationen-Debatte, ob harte Arbeit an sich ein Wert ist oder gar eher einem Betrug gleicht.
Hier ist jedoch eine theologische Balance entscheidend: Als Christinnen und Christen geht es nicht darum, Leiden und Mühe zu verherrlichen – das wäre eine fragwürdige Askese. Andererseits warnt schon das Neue Testament vor dem leichten Ausweg, wie Rowan Williams mit Blick auf die Versuchung Jesu feststellt, die er die „ultimative Abkürzung, [den] ultimative[n] Quick Fix“ (School, 2024) nennt. Solch ein „Quick Fix“ könnte KI sein: Warum selbst mühsam einen Text schreiben oder eine Power Point gestalten, wenn ChatGPT es in Sekunden tut? Theologisch muss man hier zwei Kriterien unterscheiden: (a) Ist die Abkürzung legitim und gerecht? (Plagiarismus z. B. verletzt Ehrlichkeit); (b) Beraubt sie uns der wichtigen, charakterformenden Erfahrung des Ringens? Ein Studierender, der niemals lernt, sich anzustrengen, beraubt sich vielleicht einer wichtigen Lernerfahrung. Arbeit darf durch KI erleichtert, aber nicht ihrer Tiefe und ihres formenden Wertes entleert werden.
Dies ist übrigens auch eins der zentralen Punkte der mit grossen Medienecho aufgenommen Studie von Kosmyna et al. (2025): Die Forscherinnen und Forscher prägten den Begriff der „kognitiven Verschuldung“ (Cognitive Debt): Gehirnscans zeigten, dass bei Studierenden, die Texte mit KI verfassten, die Vernetzung zwischen den Hirnarealen und die Fähigkeit nachließen, die eigenen, KI-gestützten Ergebnisse kritisch zu bewerten. Ein Kontrollexperiment zeigte dann jedoch die Pointe: Jene Studierenden, die ihr Gehirn monatelang ohne KI trainiert hatten, waren auf Anhieb die kompetenteren KI-Nutzer. Sie besaßen das nötige Hintergrundwissen, um die Vorschläge der KI zu prüfen. Die Studie warnt also nicht vor Arbeit und KI an sich, sondern davor, das eigene Denken aufzugeben, bevor man es überhaupt entwickelt hat.
Entscheidend ist zudem, dass wir KI nicht als Gelegenheit missverstehen, uns in völligen Müßiggang zu flüchten. Der Disney-Film Wall-E illustriert dieses Szenario:
Darin lebt die Menschheit auf einem Raumschiff, weil sie die Erde zu stark verschmutzt und zerstört hat. Auf diesem Raumschiff wurde jede Anstrengung und Arbeit durch Automatisierung überflüssig gemacht. Die Menschen sind zu passiven Konsumenten geworden, die ihre Tage in schwebenden Stühlen verbringen. Der Mensch braucht eine sinnvolle Tätigkeit, um geistig und seelisch gesund zu bleiben, ganz im Sinne des Schöpfungsauftrags, den Garten zu bebauen (Gen 2,15). Ein Leben in totaler, selbstgewählter Passivität wäre nicht im Sinne der Schöpfungsordnung. Selbst wenn KI uns von Erwerbsarbeit entbindet, ruft Gott uns dennoch in eine Aufgabe.
3. Verantwortung, die nicht delegierbar ist
Arbeit ist in reformatorischer Sicht immer Verantwortungsethik. Der Mensch steht in Verantwortung vor Gott und muss sein Tun am Wohl des Nächsten ausrichten. Diese zutiefst persönliche Verantwortung wird durch KI herausgefordert, denn eine Maschine hat kein Gewissen und ist kein moralisches Subjekt. Folglich kann ethische Verantwortung niemals an eine KI delegiert werden. Die Versuchung, die Verantwortung abzuschieben wie zum Beispiel in dem Sketch von Little Britain: „Computer says no!“ (Matt Lucas and David Walliams, 2022) , muss aus theologischer Sicht klar zurückgewiesen werden, denn der Mensch bleibt vor Gott rechenschaftspflichtig. Dieses Prinzip des „human-in-the-loop“, bei dem der Mensch die letzte Entscheidungsinstanz bleibt, ist daher aus christlicher Ethik zwingend notwendig. Und das aus gutem Grund: so betonte schon 1979 eine interne IBM-Präsentation: „Ein Computer kann niemals zur Rechenschaft gezogen werden, daher darf ein Computer niemals eine Management-Entscheidung treffen.“ (AI Decision-Making, 2025) Die KI wird so zum hochentwickelten Werkzeug, aber der Mensch bleibt der verantwortliche Akteur, der für die Folgen einstehen muss.
4. KI als schöpferisches Tool des Menschen
Die Fähigkeit, Neues zu schaffen, gilt als Widerspiegelung der Imago Dei. KI imitiert Kreativität auf Basis von Mustern, sie besitzt aber keinen eigenen schöpferischen Funken. Aber wenn ein Mensch als kreativer Dirigent die KI als Instrument nutzt, bleibt die Arbeit schöpferisch. Das heisst wenn ein Menschen digitale Kunst mit einer KI erstellt, sie bearbeitet, die Prompts schreibt, sich gestalterisch auslebt, ist die KI ein Tool seiner schöpferischen Kraft. Auch im Sinne der Verantwortungsethik muss der Mensch auch hinter seinem Werk stehen: hinter jedem virtuellen Pinselstrich und hinter jedem Wort.
Künstlerische Kreativität ist hier jedoch nur ein Aspekt. Manche Fähigkeiten des Menschen – Liebe, Mitgefühl, moralisches Urteilsvermögen – bleiben einzigartig. Arbeit, die primär auf Beziehung und moralischer Intuition beruht, kann daher nicht an eine KI delegiert werden, ohne dass etwas Essentielles verloren geht. Der Begriff „echte Arbeit“ impliziert auch Authentizität. Solange der KI-unterstützte Mensch mit seinem Gewissen und seiner Persönlichkeit hinter dem Ergebnis steht, bleibt die Arbeit echt. Wo er aber zur zum einem passiven «Objekt» eines Systems wird, das er nicht mehr versteht und an das er alles abgegeben hat, wird das Kriterium der Berufung verfehlt.
5. Menschenwürde jenseits der Erwerbsarbeit
Die Würde des Menschen ist in seiner Gottebenbildlichkeit verankert und nicht von seiner wirtschaftlichen Nützlichkeit abhängig. Luthers weites Verständnis von „Beruf“ schließt auch unbezahlte Tätigkeiten wie Sorgearbeit, Ehrenamt oder künstlerisches Schaffen mit ein. Wenn KI uns von reiner Erwerbsarbeit entlastet, kann dies eine Chance sein, diese oft unterbewerteten, zutiefst menschlichen Tätigkeiten aufzuwerten. Gleichzeitig kann KI die Würde auch schützen, indem sie gefährliche oder monotone Arbeiten übernimmt (Bildung, 2023) und Menschen mit Behinderungen eine bessere Teilhabe ermöglicht (Drummond, 2024). Die Würde bleibt gewahrt, solange der Mensch das Zentrum bleibt und die Technik ihm dient.
Die Arbeit mit KI kann aus protestantischer Sicht also durchaus „echte Arbeit“ sein.
Sie wird es aber nicht durch die Technologie selbst, sondern durch die Haltung des Menschen, der sie gebraucht. Wenn der Einsatz von KI im Dienst am Nächsten geschieht, die menschliche Verantwortung wahrt und Kreativität fördert, dann erfüllt er den Kern der Berufungsethik. Letztlich ist es nicht das Werkzeug, das die Arbeit adelt, und auch nicht die Mühe, die sie kostet. Echt wird Arbeit durch die Echtheit des Engagements und der Liebe, die hineinfließt.
Für uns Menschen, die im Zeitalter von KI leben und arbeiten wird deshalb immer bedeutsamer werden, welche Aufgaben wir an KI abgegeben können und welche in «unser» Hand bleiben müssen.
Quellenverzeichnis:
AI decision-making: Where do businesses draw the line? | IBM. (2025, Januar 31). https://www.ibm.com/think/insights/ai-decision-making-where-do-businesses-draw-the-line
Bildung, B. für politische. (2023a, Juni 29). Die Auswirkungen von Künstlicher Intelligenz auf den Arbeitsmarkt. bpb.de. https://www.bpb.de/themen/arbeit/arbeitsmarktpolitik/522513/die-auswirkungen-von-kuenstlicher-intelligenz-auf-den-arbeitsmarkt/
Bildung, B. für politische. (2023b, Juni 29). Die Auswirkungen von Künstlicher Intelligenz auf den Arbeitsmarkt. bpb.de. https://www.bpb.de/themen/arbeit/arbeitsmarktpolitik/522513/die-auswirkungen-von-kuenstlicher-intelligenz-auf-den-arbeitsmarkt/
Drummond, S. B. (2024). A Hardworking Protestant’s Unease with “Ease” | Reflections. Ghost in the Machine: The Ethics of A.I., Spring. https://reflections.yale.edu/article/ghost-machine-ethics-ai/hardworking-protestant-s-unease-ease
Huber, W. (2000, Mai 30). Hat das protestantische Arbeitsethos noch eine Zukunft? https://www.ekd.de/hat-das-protestantische-arbeitsethos-noch-eine-zukunft-45344.htm
Kosmyna, N., Hauptmann, E., Yuan, Y. T., Situ, J., Liao, X.-H., Beresnitzky, A. V., Braunstein, I., & Maes, P. (2025). Your Brain on ChatGPT: Accumulation of Cognitive Debt when Using an AI Assistant for Essay Writing Task (No. arXiv:2506.08872). arXiv. https://doi.org/10.48550/arXiv.2506.08872
Matt Lucas and David Walliams (Regisseur). (2022, Oktober 7). „Computer Says No…“ | Little Britain | Lucas & Walliams [Video recording]. https://www.youtube.com/watch?v=x0YGZPycMEU
School, Y. D. (Regisseur). (2024, Februar 21). Taylor Lecture I with Rowan Williams—February 21, 2024 [Video recording]. https://vimeo.com/906516457
Weber, M. (2013). Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus (D. Käsler, Hrsg.; Vollständige Ausgabe, 4. Auflage). Beck.
Quelle Titelbild: Van Gogh—Weizenfeld hinter dem Hospital Saint-Paul (Die Ernte).jpeg – Wikipedia. (o. J.). Abgerufen 25. August 2025, von https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Van_Gogh_-_Weizenfeld_hinter_dem_Hospital_Saint-Paul_(Die_Ernte).jpeg
